Unsterblich durch Stammzellen

Wie sich Hydra ewig selbst erneuern.

Bild: Bert Hobmayer


Man kann sie bei lebendigem Leibe in beliebig viele Teile zerschneiden und aus jedem Teil wächst in wenigen Tagen ein neues Tier.
Sie sind etwa einen Zentimeter lang, schlauchförmig, durchsichtig, hohl und sie ernähren sich von Insektenlarven und Krebstieren: Hydra.
Professor Bert Hobmayer ist Zoologe an der Uni Innsbruck und er erforscht, wie Hydra durch ihren hohen Anteil an Stammzellen fast unsterblich werden.


Hohl, aber oho

Hydra sind Hohltiere, ähnlich wie Quallen. Sie leben im Süßwasser und sind weltweit verbreitet, solange die Wasserqualität stimmt.

Der Körperbau von Hydra ist sehr simpel. Und doch haben sie alles, was ein Tier so braucht:

Am einen Ende des schlauchförmigen Körpers befindet sich eine klebrige Fußscheibe. Damit halten sie sich an Steinen, Blättern und Ästen im Wasser fest und warten auf Beute. Am anderen Körperende liegt die Mundöffnung, die von giftgefüllten Nesselzellen umgeben ist.

Der Körper selbst besteht aus drei Schichten, die rund um den zentralen Hohlraum angeordnet sind: einer äußeren und inneren Membran (sog. Epithel) und einer dazwischenliegenden Schicht, die zum Großteil aus Stammzellen besteht.

Hydra haben sogar ein einfaches Muskelsystem, mit dem sie ihren Körper zusammenziehen können, und sie verfügen über Chemo- und Mechanorezeptoren, die Teil eines einfachen Nervensystems sind und mit denen sie chemische und mechanische Reize aus der Umwelt wahrnehmen können.

Insgesamt setzt sich der Körper einer Hydra nur aus etwa 15 bis 20 verschiedenen Zelltypen zusammen.

Schlauchförmiger Körper der Hydra mit Tentakeln.

Mit Pfeil, ohne Bogen

Die Hydra sind spezialisiert auf das Jagen kleiner Insektenlarven und Krebstiere mit Panzer. Schwimmt ein Beutetier unmittelbar vor der von Nesselzellen umgebenen Mundöffnung der Hydra vorbei, schießt sie gleichzeitig viele tausend Giftpfeile auf die Beute ab. Diese Pfeile durchschlagen den Panzer der Beute und töten diese sofort.

Anders als viele Quallen sind die Hydra für den Menschen jedoch harmlos: Die menschliche Haut ist so elastisch, dass die Giftpfeile der Hydra davon unbemerkt abprallen. Nimmt man eine Hydra mit der Hand aus dem Wasser, dann zieht sie sich zusammen und bildet einen kleinen, gallertartigen Knödel, der für den Laien nicht als Tier erkennbar ist.

Hydra können sich auch fortbewegen, wenn z.B. an ihrem Standort nicht genügend Beutetiere zu finden sind: Entweder marschieren sie langsam mit ihrer Fußscheibe umher oder sie lösen sich ganz von ihrem Untergrund und lassen sich mit der Strömung treiben.

Bild: Wolfgang Dibiasi

Sexuelle und asexuelle Fortpflanzung

Hydra können sich auf zwei verschiedene Arten fortpflanzen: Sie können männliche und weibliche Geschlechtszellen ausbilden, oder, wenn sie ausreichend Futter finden, pflanzen sich Hydra fast ausschließlich asexuell fort. Dazu bildet sich im unteren Dritel des Körpers eine Knospe, die in wenigen Tagen immer größer wird und schließlich als vollwertige neue Hydra vom Muttertier abfällt.

Ein besonderes „Feature“ der Hydra ist auch, dass man sie mechanisch in ihre einzelnen Zellen auflösen kann und sich diese losen Zellen dann selbstorganisierend in wenigen Tagen erst zu Zellhäufen zusammen schließen, aus denen dann neue, voll funktionsfähige und fortpflanzungsfähige Hydra entstehen.

Im folgenden Video von Prof. Hobmayer kannst Du Dir diesen Prozess im Zeitraffer ansehen:

Geheimwaffe Stammzellen

Hydra bestehen zu einem sehr hohen Anteil aus sog. Stammzellen. Stammzellen sind Zellen, die noch keine Spezialisierung aufweisen und sich entweder zu neuen Stammzellen teilen oder zu einem beliebigen anderen Zelltyp spezialisieren können.

Auch wir Menschen besitzen Stammzellen. Am größten ist der Anteil der Stammzellen am menschlichen Gewebe im Embrionalstadium, also in den ersten Wochen nach der Befruchtung der Eizelle im Mutterleib. Bei erwachsenen Menschen ist der Anteil der Stammzellen deutlich geringer und man spricht von sog. Adulten Stammzellen. Diese helfen uns bei der Regeneration von Gewebe und sie ersetzen alte, nicht mehr funktionsfähige Zellen, indem sie für Nachschub sorgen.

Die Stammzellen der Hydra sind de facto unbegrenzt wachstumsfähig. Das unterscheidet sie von den menschlichen Stammzellen, die mit der Zeit erhebliche Alterungserscheinungen aufweisen. Daher können menschliche Stammzellen ihre Arbeit nur für begrenzte Zeit leisten.

Exponentielles Wachstum und Forschung

Im Labor von Bert Hobmayer werden je etwa 1.000 bis 2.000 Hydra gemeinsam in einer ca. 20cm großen Schale gezüchtet. Täglich füttern die Forscher*innen die Tiere mit kleinen Süßwasserkrebsen. So sind für die Hydra die optimalen Lebensbedingungen geschaffen und die Tierchen vermehren sich fleißig (wie oben beschrieben asexuell).
Das Ergebnis: Exponentielles Wachstum. Das bedeutet: Alle vier bis fünf Tage verdoppelt sich die Zahl der Hydra.
Dieser große Nachschub an Hydra wird von den Wissenschaftler*innen benötigt, um z.B. die chemische Struktur gewisser Eiweißmoleküle zu untersuchen und zu verstehen, warum sich die Stammzellen der Hydra ewig und fehlerfrei erneuern können, während menschliche Stammzellen mit dem Alter ihre Funktionsweise Stück für Stück verlieren.
Direkte Rückschlüsse von den Hydra auf den Menschen sind schwierig. Bert Hobmayer sieht seine Arbeit daher eher als Grundlagenforschung an. Wir Menschen werden uns die beinahe Unsterblichkeit also nicht einfach von den Hydra abschauen können, aber unser Verständnis für die Vorgänge in und zwischen Stammzellen verbessert sie allemal.

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